Was muss er alles können? Halt geben, gut sitzen muss er, darf nicht drücken, aber gut aussehen soll er auch. Was klingt wie eine Werbung für BHs ist unser Deutschunterricht vor Ostern.
Unter dem Stichwort digital detoxing leiten wir die Zeit der ABI-Vorbereitung ein. Doppel D – ohne IPad, digitalen Unterricht, Smartboard, OneNote und Tastatur. Eine Vision, die von vielen erst völlig belächelt wurde, bekommt mit der Zeitung „Die ZEIT“ eine reale Gestalt. Und plötzlich heißt es: Wann darf ich lesen?
Unsere Reise in eine Welt voller Kommentare, Analysen, Interviews und Glossen nimmt ihre erste Hürde: Während die einen denken, die gedruckte Ausgabe der ZEIT passe nie in ihre Tasche, wollen die anderen das große Paket mit anderen teilen, schließlich sei es für einen allein doch zu viel. Die lieb gemeinte Sharing-Mentalität bekommt nach 30 Minuten eine neue Dimension: Geteilt werden nun Inhalte. Wir lachen über böse Kommentare, schmunzeln bei Ironie, denken über den Wert eines Rolls Royce nach und diskutieren über Politik.
Zugang gibt uns die gedruckte Ausgabe der ZEIT. Wie viele Male wurde in den letzten Wochen über digitalen Unterricht deutschlandweit gestritten? Wieso erwägen skandinavische Länder von ihrem Vorzeige-Digitalismus im Unterricht wieder abzurücken? Die Antwort zeigt sich nach Ende der ersten Stunde in den 12. Klassen: Deutschunterricht ist lesen, unterhalten, schreiben, Neues entdecken – ohne Ablenkung, Kurznachrichten und App-Verbote.
Ohne Zwang entstehen so plötzlich unbewusst neue Räume der sprachlichen Auseinandersetzung. Wir erkennen den Wert von Stilmitteln, rekonstruieren Argumente und holen uns Tipps und Tricks. Was ist ein guter Titel? Welche Einleitung ist gut? Wo ist die Pointe im Schluss? Ganz intuitiv und mit lockerer Leichtigkeit – dazu scheint die Sonne und wir genießen die Unterrichtsstunden mit Papier und Stift in der Hand. Wer kann da noch sagen, Unterricht in der Oberstufe gebe keinen Freiraum für solche „Experimente“?
Ja, die Zeit ist knapp und Ja, die Menge an Unterrichtsstoff macht es nicht leicht. Aber doch: Aus einem Experiment, einer Vision wurde in wenigen Stunden etwas Handfestes, Alltagstaugliches, das uns Halt gibt. Doppel D. Ohne Schnickschnack, ohne enges Zeitkorsett und eben ohne Digitalität. Wenn aus Träumen Wirklichkeit wird.
Julia Hammer